Selz art contemporain, Ausstellung 22.Mai bis 26.Juni 2005

«Ich weiss, wieviel Kunst dem Leben und Leben der Kunst abgezapft werden muss(te), um dies Kinderspiel zwischen Kunst und Leben zu ermöglichen» (Karl Kraus). «Der Malprozess ist ein Einkreisen der Figur, die noch gefunden werden muss.» (Rolf Blaser). «Ma che per il pittore è solo o innanzitutto la rappresentazione, allucinata e allucinante, del martirio di un essere umano, indifeso, colto di sorprese, impreparato in tutta la sua sostanziale fragilità» (Nicola Spinosa, in «Caravaggio, l'ultimo tempo 1606–1610», Katalog zur Ausstellung, Neapel 2004) 1. Viel mehr gibt es zur Kunst von Blaser nicht zu sagen.

Keck nannte sich die Ausstellung von Anne-Mie van Kerckhoven vom Januar 2005 in der Kunsthalle Bern im Untertitel «Europäisches Zentrum für Futuristische Kunst». Futuristisch ist diese grosse Kunst, weil sie die anscheinend grenzenlosen Verstärker digitaler Techniken souverän als Vehikel einsetzt. In «Transcriptional Activator», einem der Austellung prominent (an der Wand der Eingangshalle) beigegebenen Text (!), finden sich Worte wie «internal machinery of meaning creates openchannel physiological structures», und als «final comment» «...coincidence of chemical experimentation (...) with heroic outbursts of floating relations, existential fears and wise brain government», ... «fresh spiritual interconnection sauced with flat synthetic innovation» 2.

Wenn man im stillen Alelier von Blaser in einem bescheidenen Vorststadthaus von La Chaux-de-Fonds sitzt, wähnt man sich nicht in einem europäischen Zentrum, wenn auch die geistigen und praktischen Vorgaben des Künstlers spannungsfrei mit denjenigen der Digital–Künstlerin übereinstimmen. Er allerdings verwendet ein digitales (!) Medium – die Malerei – , welches unmittelbar aus dem neurobiologischen Fundament des Humanen hervorgeht, auch und gerade weil es historisch schwer beladen ist. Eine künstlerische Bemächtigung des Lebendigen ist beides, und damit die Frage obsolet, was mit welchem Argument davon zeitgemäss sei. Beides hat mit gutbürgerlicher Erbauungskunst nicht viel zu tun. Aber beide Plattformen sind «natürlicher» Ausdruck des psycho-neuro-immunologschen, selbstorganisierenden Betriebssystems Mensch. Dies gilt ungeachtet dessen, dass neuerdings ein «Triumph of Painting» wiederentdeckt wird. (Saatchi Gallery, London, 2005). Solche Wertungen macht allein das kapitalistische Betriebssystem. Jede Form wahrhaftiger kreativer Aeusserung muss als Endstrecke der gemeinsamen konstitutiven Komplexität unserer Existenz betrachtet werden. Die Neurobiologie kann deren zerebrale Verbindungen mittlerweile abbilden, und kündet eine neues Zeitalter der Aufklärung an (Jean-Pierre Changeux anlässlich des Kongresses «Neurobiologie des valeurs humains», zitiert in «Le Monde» vom 2.Februar 2005). Dies ist eine Form wissenschaftlicher «Objektivierung», welche auch den Künstlerinnen und Künstlern zugute kommt, die sich nicht hochtechnischer Mittel bedienen.

Die Bilder von Blaser entstehen als Abfolge tektonischer Schichtungen. Sie gehen hervor aus dem künstlerischen Forschungsprozess, als dessen Fundament schliesslich die oberflächlichen Hüllen des Selbst erscheinen. «Denn nicht wir wissen, es ist ein gewisser Zustand unserer, welcher weiss» (Kleist). Die Werke erscheinen als Ausdruck der Zerrissenheit und der Prekarität des Menschen, als Amalgam eines erotisch durchtränkten Hirns und eines ebensolchen Körpers, als biomorphe Energiezustände, als Absurdationen von Energie. Ihre hohe Präsenz und ihre Schönheit sind der Spiegel von Lebensstil und Geist des Künstlers. Das Bild wird zum Vermittler zwischen Welt und Betrachter. Es ist eine «intuitive» Inszenierung des Gehirns, dessen geschärfte Sinne eindringliche Empfindungen schaffen. «Ne pas se soumettre au réel, à l'actuel, ne pas non plus le refuser, l'affronter au contraire, pour en extraire la beauté, le côte épique, permanent devoir tracé à l'artiste ...» (Cathérine Coeuré über Charles Beaudelaire, Einführung zu «Curiosités esthétiques») 3.

Blaser ist ein symbolischer Realist mit grosser Tiefenschärfe. Er malt nicht Porträts, mehr generische Zustände der Existenz. Der Stoff seiner Malerei ist von untergeordneter Bedeutung. Im wesentlichen benutzt er das stoffliche Geschehen, um an ihm seine aus langer Selbsterfahrung gewonnene Auffassung vom Menschen und von der Möglichkeit menschlicher Bewährung darzulegen. Allerdings ist der Künstler selbst erstaunt, dass aus seinen inneren Bildern meistens menschliche Figuren werden. Angefangen hat er nach eigener Nomenklatur mit «fantastischer Malerei», surrealistischen Bildern. Aus den ersten zehn Jahren hat er jedoch lediglich 100 Werke aufbewahrt. Er wollte schon immer Energie und Figuren malen können. Nachdem ihn der intuitive Prozess ohne bewusstes Zutun zur figuralen Malerei hatte kommen lassen, und diese Ausdrucksform zu dieser Zeit (vor 20 und mehr Jahren) kaum mehr als zeitgenössische Kunst betrachtet wurde, bildete das für den Maler eine zusätzliche Herausforderung. Er wollte unabhängig von Stil und Ausdruckmitteln wahrgenommen werden. Die besondere Dringlichkeit und Intensität von Blasers Werken liegt in der gegenseitigen Verstärkung von Inhalt und Darstellungsweise, aber auch in der Verpflichtung, die sich aus der solitären Stellung im künstlerischen Umfeld herleitete.

Beat Selz

 

1 Aber für den Maler ist es allein oder zumindest hauptsächlich die Wiedergabe, halluziniert oder halluzinierend, des Martyriums eines menschlichen Wesens, wehrlos, dem Unerwarteten ausgeliefert, unvorbereitet, in seiner alles bestimmenden Zerbrechlichkeit.
2 Die innere Maschinerie von Sinn und Bedeutung erschafft durchlässige physiologische Strukturen / die Koinzidenz chemischer Experimentation mit heroischen Ausbrüchen unsteter Beziehungen, existentiellen Aengsten und kluger Beherrschung des Gehirns / lebendige spirituelle Vernetzung vermengt mit platter synthetischer Innovation.
3 Sich nicht der Wirklichkeit unterwerfen, dem Alltag, ebenso wenig darauf verzichten, im Gegenteil, sich ihnen stellen, um daraus die Schönheit zu extrahieren, die epische Seite, ist eine permanent den Künstlern auferlegte Pflicht.

 

 

 

Selz art contemporain, Ausstellung 19.Februar bis 16.April 2006

Rolf Blaser ist ein preisgekrönter Meister der figuralen Malerei. Technische Meisterschaft und kompositorisches Können sind für ihn aber lediglich das selbstverständliche Einmal-Eins. Er ist nicht freiwillig Maler geworden. Er konnte nicht anders, und er sagt, dass er auch nichts anderes gekonnt hätte. Es war ein unentrinnbarer biologischer Prozess, Schicksal, in welchem es nur noch Freude gibt, wenn man sich diesem anschliesst. Von daher stammt sein unnachgiebiges Bemühen, ins Leere zu sehen, und darin die Realität zu erkennen. Höchste Vernunft und kreatürliche Wahrhfaftigkeit verschmelzen in seinem Werk zu einer eindrucksvollen Semiotik der menschlichen Existenz. Denken und Fühlen als unteilbare Verlängerung des Unbewussten werden zu einer philosophischen Sprache. Das ist nicht zeitgenössische Kunst als Soziologie ihrer Zeit. Das ist zeitgenössische Kunst die das Verdikt anerkennt, dass sich jede Generation von Neuem ihr eigenes Repertorium der menschliochen Komödie erarbeiten muss.«Nur der Mensch, der sich selber zum Absoluten der Wahrheit überstiegen hat , kann wissen, dass das Wahre das Wahnsinnige ist, und dass das letzte Gesicht des Wahnsinns sich irgendwo im Schoss einer Schamlosen findet.» (Seul l'homme qui s'est dépassé vers l'absolu de la vérité peut savoir de toute évidence que le vrai est fou, et que l'ultime visage de la folie se trouve quelque part dans les entrailles d'une dévergondée). (Marcel Moreau, Sacre de la femme, Denoël 2005).

Beat Selz